Otto Reutter (1870-1931),
Meister des Couplets
Über 30 Jahre war der aus Gardelegen (in der Altmark) stammende Otto Pfützenreuter, geboren vor 150 Jahren, der Star der Vortragsbühne
und genoss eine Popularität wie nur wenige Künstler dieses Fachs. Kurt Tucholsky schrieb 1921:
„Ein schlecht rasierter Mann mit Stielaugen, der aussieht wie ein Droschkenkutscher, betritt in einem unmöglichen Frack und ausgelatschten Stiefeln das Podium. Er guckt dämlich ins Publikum und hebt ganz leise, so für sich hin, zu singen an. Diese Leichtigkeit ist unbeschreiblich. Es ist gar nicht einmal alles so ungeheuer witzig, was er singt, das kann es wohl auch nicht, denn er singt da gerade das zweitausendvierhundertachtundzwanzigste Couplet seines Lebens, und so
viele gute gibt es nicht.“
Was ist ein
Couplet?
Das französische Wort für Strophe bezeichnet ein Lied witzigen, heiterhumoristischen Inhalts,dessen Strophen mit einem Kehrreim enden.
Die sogenannten Vorstrophen bilden für sich abgeschlossene Teile, sind auswechselbar und interessant nur in der Zuspitzung auf den Refrain.
Es sind der Klang und der Zeilenfall, das Wort und die Pointe, die genau „sitzen“ müssen.
Die Meisterschaft des guten Coupletisten besteht darin, den einmal gefundenen Kehrreim mit dem Inhalt der neuen Strophe originell und unerwartet zu verknüpfen. Dieses Anbauverfahren gestattet dem Couplet weder durchgehende Handlung noch echten Schluss.
Einzelne Strophen können thematisch leicht an die jeweilige Situation angepasst werden.
Ick wunder‘ mir
über jarnischt mehr
Otto Reutters Leben war weitgehend durch seine rastlosen Tourneen bestimmt. Er wurde von den großen Varietés wie dem Berliner Wintergarten in der Friedrichstraße gern gebucht, weil er den kommerziellen Erfolg garantierte. Daher war er auch einer der bestbezahlten Künstler unter den Volkssängern, bei denen er – ebenso wie Karl Valentin – sein Handwerk gelernt hatte. Seine Spezialität waren kurze, einzeilige Refrains wie „In 50 Jahren ist alles vorbei“, das Tucholsky sein schönstes Lied nannte.
Alles weg‘n de Leut‘
Der Sänger begnügte sich auch nicht mit dem üblichen Themen-Reservoir allgemeinmenschlicher Eigenheiten wie der sprichwörtlichen bösen Schwiegermutter und komischer Alltagserlebnisse, sondern verstand es, stets tagesaktuelle Ereignisse einzubauen; die Politik betrachtete er geradezu als seine „Hauptdomäne“. Ohne Frage sprach Reutter mit den Inhalten seiner Couplets die Urteile,
Vorurteile und Befangenheiten seiner kleinbürgerlichen Klientel an und bestätigte sie, wenn auch mit einem Schlenker in die Karikatur.
Sein Hurrapatriotismus im ersten Weltkrieg wich nach dem Tod seines Sohnes dann nachdenklicheren, zeitkritischeren Tönen:
„Das Sterben ist bald teurer als‘s Leben
hier./Es jibt jetzt schon Särje aus Packpapier./
Na, mir is‘s ejal, ick bin ja nicht stolz./Immer
rin in de Pappe, ick brauche keen Holz,/lieg
ick erstmal unten so janz leger./Ick wunder‘
mir über jarnischt mehr.“