Boarischer Hoagascht – mit der Frauenhofer Saitenmusik und Peter Weiß

Donnerstag

15. November 2017
19:30 Uhr

Boarischer Hoagascht – mit der Frauenhofer Saitenmusik und Peter Weiß

 

Josef Ruederer, 1861-1915

Das kulturelle Leben in München vor dem ersten Weltkrieg war durch eine Vielzahl von literarischen Zirkeln (mit angeschlossenen Kegelgesellschaften) geprägt, die in rascher Folge gegründet und wieder aufgelöst wurden. Dabei spielten persönliche Animositäten keine unerhebliche Rolle, so dass mindestens zwei Fraktionen entstanden, aus denen die Antipoden Ruederer und Ludwig Thoma herausragen.

Ätzende Gesellschaftskritik

Beide Autoren verstanden es, ihre Umgebung sehr kritisch zu beobachten, aber es bleibt doch ein unterschiedlicher Blick aufgrund ihrer Herkunft erkennbar. Thoma war als Förstersohn auf dem Land aufgewachsen und hatte seinen eigenen Dünkel. Ruederers Vater war ein reicher Kaufmann und als Handelsrichter, Kommerzienrat und Generalkonsul eine städtische Honoration. Sein Sohn ruinierte sich 1890 geschäftlich, blieb finanziell stets von ihm abhängig und konnte sich erst als Erbe eine Villa in Bogenhausen leisten. Im Kreis der Münchner Bohème (ein Freund war Lovis Corinth) blieb er als Großkopfeter auch mental ein Fremdkörper. Der Zwiespalt zwischen Künstler und Bürger machte ihm zu schaffen und er verspottete Philister und Avantgarde-Künstler mit gleicher Verachtung.

Flaneur durch München

1901/2 verfasst Ruederer als Korrespondent der Berliner Zeitung Der Tag rund 50 Artikel über München; diese Milieu- und Charakterstudien bilden die Grundlage für sein 1907 erschienenes innovatives München-Buch. Der intime Kenner der Verhältnisse erkundet auf weitläufigen Spaziergängen als Flaneur die Stadt, mit Anteilnahme, frischen subjektiven Urteilen sowie persönlichen Erinnerungen.

Zeitungsskandal

Zu diesen zählt auch die Affäre um den Großhändler Georg Lorenz (1849-1901), der 1891 für seine erste Frau und sich eine repräsentative Grabstätte in den Neuen Arkaden des heutigen Alten Südfriedhofs erworben hatte; der Emporkömmling wollte halt unter den Spitzen der Gesellschaft liegen. Allerdings machte ihm seine zweite Frau einen Strich durch diese Rechnung und er landete 1903 in einem schlichten Reihengrab auf dem Ostfriedhof. Eine Zeitung empfand dies als „unglaubliche Pietätlosigkeit“ und es gab eine empörte öffentliche Debatte um diesen Vorgang (ähnlich der 2004 um die Straußsche Gruft in Rott am Inn). Den Marmorengel ließ die Obristen-Witwe von Cramon 1907 vom heutigen Alten Nordfriedhof auf die neu erworbene Grabstätte setzen.

Ruederer gelingt mit dieser süffisant geschriebenen Erzählung eine anschauliche, keineswegs überzogene Fallstudie zur Mentalität des ihm vertrauten Großbürgertums und seiner allein durch Kapital ermöglichten Reputation, die hier in einer Katastrophe endet.

Ruederer selbst wählte übrigens für seine Familie eine Grabstätte auf dem Waldfriedhof. Um diese und das bemerkenswert schlichte Grab seiner Eltern auf dem Südfriedhof kümmert sich heute das städtische Friedhofsamt; die Pflege war Bestandteil und Bedingung für die Übernahme des Dichternachlasses. Und ein Skandal wie um das Grab des Herrn Schefbeck nicht möglich!

Text und Fotos: Thomas Schwarz.

Die Frauenhofer Saitenmusik mit Peter Weiss beim Boarischen Hoagascht